Millionen Menschen querten die innerdeutsche Grenze von Ost nach West und passierten ab September 1945 das niedersächsische Grenzdurchgangslager Friedland. Sie kamen aus dem Kommunismus in den Kapitalismus, aus einer fremdgewordenen Heimat in eine ungewisse Zukunft. Für die Eintreffenden bedeutete das Lager ein Durchatmen, aber auch Abschied und Endgültigkeit. Empfangen wurden sie im Zeichen selbstloser Hilfsbereitschaft. Das Presseecho war enorm, die Symbolik verbindend. Getriebenheit, Verelendung und Rührseligkeit, Tod und Neuanfang bildeten hier ein verstörendes Nebeneinander.
Zahlreiche Aufnahmen des Fotoreporters Fritz Paul, viele davon bislang unveröffentlicht, bieten überraschende Blicke auf die Vertriebenen, Zivilverschleppten, Heimkehrer und Aussiedler der 1950er-Jahre.
Was bedeutet es, entwurzelt zu sein? Wie erlebt und empfindet man das Ankommen in einem neuen System? Christopher Spatz erzählt von dem entscheidenden Moment des Weltenwechsels und den Facetten der Heimatlosigkeit.
Christopher Spatz
wurde 1982 in Bremen geboren. Nach dem Studium der Geschichte und Germanistik promovierte er 2015 an der Berliner Humboldt-Universität zur Identität der ostpreußischen Wolfskinder. Er hat für die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung gearbeitet und die erfolgreiche Kampagne der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Entschädigung der Wolfskinder durch die Bundesrepublik wissenschaftlich begleitet. Im Ellert & Richter Verlag ist von ihm bereits „Nur der Himmel blieb derselbe. Ostpreußens Hungerkinder erzählen vom Überleben“ erschienen.
Fritz Paul (1919–1998)
als elftes Kind einer ostpreußischen Landwirtsfamilie geboren, entwickelte in seiner ländlichen Umwelt früh ein ausgeprägtes Interesse an der Fotografie. Nach dem Abitur war er von 1939 bis 1945 Soldat. Ab 1946 fotografische Auftragsarbeiten und ab 1948 freier Bildberichterstatter in der Universitätsstadt Göttingen. In dieser Zeit dokumentierte er neben der Ankunft der Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge im Grenzdurchgangslager Friedland unzählige gesellschaftliche, sportliche, kulturelle und wissenschaftliche Ereignisse für die lokale und überregionale Presse. Von 1962 bis 1981 leitete er beim Göttinger Tageblatt die Bildredaktion.